Beispiel 3: Lehrkräftemangel

Auch Lehrkräfte sollen keine Workaholiker sein müssen

Norma Klein hat ihren Traumberuf erreicht. Die Pädagogin schloss ihr Studium 1995 ab. Wegen des Kindermangels nach der Wende fand sie zunächst keine Stelle und arbeitete lange in der Wirtschaft. Seit 2015 ist sie wieder im Schuldienst, zurzeit unterrichtet sie an einer Oberschule in Dresden. Dafür, dass in Sachsen Lehrkräfte fehlen, macht Norma Klein jedoch nicht vor allem die Bezahlung verantwortlich. Der größte Missstand seien die Arbeitsbedingungen: »Wenn du den Job engagiert und ordentlich machst, setzt du deine Gesundheit dran.« Den Lehrkräften würden immer mehr Aufgaben zugewiesen, doch weder gebe es in den Schulen genug Arbeitsräume noch stehe zusätzliche Arbeitszeit zur Verfügung. Die Bürokratie sei belastend. Sämtliches Arbeitsmaterial müsse sie auf eigene Kosten beschaffen: »Lehrer sind wie LKW-Fahrer, die ihren eigenen LKW mitbringen müssen.« Und sie müssten Workaholiker sein, wenn sie ihren Job ernstnehmen wollten. Selbst Elterngespräche, Dienstberatungen, Berufsorientierung oder das Schreiben der Zeugnisse würden nicht als Arbeitszeit anerkannt.

Wie ließe sich die Situation verbessern? Norma Klein fordert »multiprofessionelle Teams«, die Lehrerinnen und Lehrer von fachfremden Aufgaben entlasten. Außerdem brauche es »mehr pädagogische Freiheit«. Man müsse »die Lehrpläne entschlacken« und »an Kompetenzen, nicht an Faktenwissen orientiert« unterrichten. Auch längeres gemeinsames Lernen könne Angst und Stress bei Kindern abbauen. Das Lehramtsstudium sollte ihrer Meinung nach stärker an der Praxis orientiert werden und auch in den Regionen stattfinden. »Warum organisiert man es nicht als duales Studium?«, fragt Klein. Stattdessen würden die Lehrkräfte zu noch mehr Arbeit verpflichtet, was den Mangel verschärfe. Inzwischen kann Norma Klein verstehen, dass Kolleginnen und Kollegen ihren Beruf aufgeben. Sie macht einen radikalen Vorschlag: Wenn der Freistaat mehr Geld in das Personal investierte, um Klassen zu verkleinern und die Unterrichtslast zu senken, würden Lehrkräfte in Scharen kommen.

Die Staatsregierung muss Sachsen als Arbeitgeber attraktiver machen! Wer damit liebäugelt, in Sachsen als Lehrkraft zu arbeiten, hat nun die Aussicht auf noch mehr Belastung. Wir brauchen stattdessen Maßnahmen, die Druck aus dem System Schule nehmen, und fordern einen anderen Weg: Der Lehrkräftemangel ist ein bundesweites Problem, das nur durch Kooperation statt Konkurrenz gelöst werden kann. Sachsen muss Verhandlungen für einen Staatsvertrag anstoßen und der Bund dabei helfen, dass alle Studienplätze besetzt werden. Das Studium selbst braucht dringend mehr Praxisbezug. Ohne Grundsatzdebatte mit den Betroffenen darüber, ob zum Beispiel duale Studienoptionen, stärkere Regionalisierung und ein größerer Praxisanteil bereits ab Studienbeginn Lösungen wären, kommen wir nicht weiter. 

Lehrkräfte brauchen bei unterrichtsfremden Nebentätigkeiten mehr Unterstützung durch Assistenzpersonal, mehr Weiterbildung im Coaching und Supervisionen. Die Seiteneinsteigerinnen   und Seiteneinsteiger allein werden das Problem nicht lösen, denn sie müssen betreut und ausgebildet werden – auch das bindet Personal. Vielleicht ist das eine Aufgabe für Lehrkräfte, die bereits in Rente sind? Wenn keine Lehrkräfte verfügbar sind, können Ausfallstunden auch sinnvoll genutzt werden, etwa in außerschulischen Lernorten – dafür wäre lediglich Betreuung nötig.

Wir müssen debattieren, was wie gelernt und gelehrt wird, zumal in Sachsen besonders viele junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Bildung muss mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt halten. Es kann nicht darum gehen, möglichst schnell möglichst viel Wissen einzutrichtern, denn Wissen ist umfassend verfügbar. Schule muss vielmehr dazu befähigen, Wissen selbstständig zu erwerben und anzuwenden. Wir wollen mündige junge Menschen, die Fragen in Eigeninitiative bearbeiten, selbst über ihre Anliegen entscheiden und Krisen bewältigen können. Sachsen muss dringend an modernen Unterrichtskonzepten arbeiten, wie sie an den Gemeinschaftsschulen bereits umgesetzt werden. Die Hürden für das längere gemeinsame Lernen müssen sinken! Das heißt auch: Lehrkräfte sollten nicht mehr für Schularten, sondern für Schulstufen ausgebildet werden. Das bringt Flexibilität.

Mehr Flexibilität ist auch bei den Lerninhalten nötig. Rahmenlehrpläne bieten mehr Freiräume für Lehrende und Lernende. Sie verzichten auf eine detaillierte Prozessplanung, fördern Mitgestaltung und Eigenständigkeit. Der Unterricht ist stärker projektbezogen und handlungsorientiert. Das entspricht den Erfordernissen der modernen Sozial- und Arbeitswelt.